Erstbehandlung bei Hoch-Risiko-Tumoren
Prostatakarzinome werden in verschiedene Risikogruppen eingeteilt. Je nach Risiko können sich die Therapiemöglichkeiten unterscheiden. Doch wie sieht die Erstbehandlung bei Hoch-Risiko-Erkrankungen aus?
Mit der Einschätzung des Risikos eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms kann versucht werden, eine Aussage darüber zu treffen, wie aggressiv der Tumor ist, das heißt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass er fortschreiten oder streuen wird.
Bei der Risikoeinteilung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms in niedrig, mittel oder hoch bezüglich der Entwicklung eines Rezidivs spielen drei Faktoren eine Rolle: das Tumorstadium (nach TNM-Klassifizierung), der PSA-Wert und der Gleason-Score. So ergibt sich folgende Einteilung:
- niedriges Risiko: Tumorkategorie cT1-2a und Gleason-Score 6 und PSA <10 ng/ml,
- mittleres Risiko: Tumorkategorie cT2b oder Gleason-Score 7 oder
PSA >10-20 ng/ml, - hohes Risiko: Tumorkategorie cT2c oder Gleason-Score > 8 oder
PSA >20 ng/ml.
Zwar kann aus diesen Werten keine Aussage über den persönlichen Krankheitsverlauf eines Patienten getroffen werden, dennoch ergeben sich aus der Risikoklassifikation verschiedene Behandlungsempfehlungen.
Abwartendes Beobachten
Bei der Strategie des abwartenden Beobachtens (engl. watchful waiting, WW), wird ein Tumorpatient langfristig beobachtet und eine lindernde (palliative) Therapie eingeleitet, sobald der Tumor Krankheitszeichen (Symptome) verursacht. Diese Maßnahme kann einem Patienten mit Hoch-Risiko-Tumor angeboten werden, wenn er aufgrund seines Gesundheitszustands für eine heilende (kurative) Therapie nicht infrage kommt oder er nur noch eine kurze Lebenserwartung hat. So werden ihm mögliche Nebenwirkungen, die eine Therapie mit sich bringen kann, erspart.
Eine aktive Überwachung, bei der eine grundsätzlich mögliche kurative Therapie unter strenger Kontrolle so lange aufgeschoben wird, bis der Tumor fortschreitet oder der Patient die Therapie wünscht, ist bei Hoch-Risiko-Patienten nicht geeignet.
Radikale Prostatektomie
Studien zufolge profitieren Patienten mit Hoch-Risiko-Tumoren am ehesten von der radikalen Prostatektomie (RPE). Sie ist im Übrigen eine primäre Therapieoption für Patienten mit klinisch lokal begrenztem Prostatakarzinom aller Risikogruppen. Welche Operationsmethode dabei am besten geeignet ist, hängt von der individuellen Situation des Betroffenen ab. Grundsätzlich sollte die Operation aber allen Patienten angeboten werden, die noch eine Lebenserwartung von mehr als zehn Jahren haben.
Strahlentherapie
Eine Strahlentherapie kann entweder nach einer Operation oder statt einer Operation durchgeführt werden. Bei ersterer handelt es sich um eine sogenannte adjuvante (begleitende) Strahlentherapie. Diese ist dann angeraten, wenn nach der Operation ein positiver Schnittrand oder ein Befall der Prostatakapsel vorliegt, da in diesen Fällen ein hohes Risiko für ein Wiederauftreten der Krankheit (Rezidiv) besteht. Dieses Risiko kann durch die Bestrahlung verringert werden. Zudem kann den Patienten eine sogenannte Salvage-Radiotherapie (SRT) empfohlen werden, wenn es nach der Operation doch zu einem Rezidiv kommt.
Eine alleinige Bestrahlung kommt für Patienten mit lokal begrenzten Tumoren des mittleren und hohen Risikoprofils in Betracht. Neben der Bestrahlung von außen (perkutan) – dem am besten erprobten Bestrahlungsverfahren beim Prostatakrebs – gibt es noch die Bestrahlung von innen – die Brachytherapie, bei der das Gewebe aus „kurzer Entfernung“ (altgriechisch brachys = kurz) mittels einer radioaktiven Strahlenquelle im Gewebe bestrahlt wird.
Geschieht dies mit einer hohen Strahlendosis wird diese Form HDR-Brachytherapie genannt. Die HDR-Brachytherapie ist eine wirksame Methode zur Dosissteigerung. Entsprechend empfiehlt die europäische Leitlinie eine Dosis von 76-78 Gray (Gy) statt der Standarddosierung von 68,4-75,5 Gy.
Hormontherapie
Falls Patienten keine lokale Therapie erhalten wollen oder können, sollte ihnen bei einer PSA-Verdopplungszeit von weniger als zwölf Monaten und einem PSA-Wert unter 50 ng/ml auch eine sofortige Hormontherapie (Androgendeprivationstherapie, ADT) angeboten werden.
Zudem sollten Patienten mit lokal begrenztem Karzinom des mittleren oder hohen Risikoprofils, die sich einer Strahlentherapie unterziehen, eine langfristige (empfohlen sind zwei bis drei Jahre) ADT erhalten. Dabei soll die Hormontherapie nicht nur adjuvant, also während und nach der Bestrahlung, sondern auch schon bereits neoadjuvant, das heißt bis zu 6 Monate vor der Bestrahlung erfolgen.
Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe e. V. (DKH) (Hrsg.): Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. Version 5.1, Mai 2019