Gleason-Score differenzierter auswerten
Einer Studie zufolge ist eine wesentlich genauere Voraussage der Aggressivität von Prostatakarzinomen und damit eine individuellere Therapieentscheidung möglich, wenn der Gleason-Score feiner abgestuft wird.
Nach der Diagnose Prostatakrebs stehen Arzt und Patient vor der Entscheidung, ob eine Therapie notwendig ist und wenn ja, welche. Neben dem PSA-Wert und dem Tumorstadium (TNM-Einteilung) ist der Gleason-Score das wichtigste Entscheidungskriterium. Der histologische sogenannte Malignitätsgrad analysiert, wie groß unter dem Mikroskop die Abweichung von Tumorzellen zu gesunden Prostatazellen ist und gibt damit sozusagen ein Maß für die Bösartigkeit des Tumors an. Das heißt, der Gleason-Score charakterisiert das Wachstumsverhalten von Tumoren und damit die Prognose der Erkrankung.
Prozentuale Anteile berücksichtigen
Bisher wurden Prostatakarzinome in fünf verschiedene Gleason-Gruppen (≤6, 3+4, 4+3, 8, 9-10) eingeteilt. Dabei blieb jedoch unberücksichtigt, welchen jeweiligen Anteil die einzelnen Gleason-Komponenten haben. So variiert zum Beispiel die Komponente 4 bei Gleason-Score 3+4 zwischen fünf und 45 Prozent. Dass eine solche „quantitative Gleason-Graduierung“ mit detaillierter Angabe der prozentualen Anteile der einzelnen Gleason-Grad-Komponenten eine deutlich feinere Voraussage der Aggressivität von Prostatakarzinomen erlaubt, haben Forscher der Martini-Klinik und des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer Studie gezeigt. Für die Untersuchung wurden die Gewebepräparate von 12.823 Patienten aufgearbeitet, bei denen zwischen 2005 und 2014 am UKE die Prostata chirurgisch entfernt wurde. Anhand von 2.971 diagnostischen Prostatabiopsien der gleichen Patienten konnte weiter gezeigt werden, dass eine detaillierte quantitative Beurteilung der Gleason-Komponenten in der Stanzbiopsie eine deutlich verbesserte Voraussage der tatsächlichen Situation in der Prostata zulässt. Damit wäre eine bessere individuelle Therapieplanung möglich. Das betrifft insbesondere die Entscheidung für oder gegen die Strategie der aktiven Überwachung (active surveillance, AS). Diese wird bislang nur Patienten mit einem Gleason-Score ≤6 empfohlen. Die Studie konnte jedoch zeigen, dass Patienten mit einem Gleason-Score 3+4 eine ähnlich gute Prognose haben wie diejenigen mit 3+3, wenn der Anteil des Tumorgewebes mit Grad 4 sehr gering ist (maximal 15 Prozent). Daher könnte auch für diese Patienten die aktive Überwachung in Frage kommen.
Grenzbefunde erkennen
„Eine exaktere Angabe der prozentualen Gleason-Muster-Anteile erlaubt nicht nur eine verbesserte, feiner abgestufte Prognosevoraussage, sondern ermöglicht es dem Urologen auch zu erkennen, ob bei Verwendung der traditionellen Gleason-Gruppen ein Grenzbefund vorliegt“, sagt Prof. Dr. Guido Sauter, Leiter des Instituts für Pathologie am UKE. In solchen Fällen könne das Einholen einer Zweitmeinung zur Prostatabiopsie sinnvoll sein. Prof. Dr. Thorsten Schlomm, Direktor der Klinik für Urologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Studienleiter sieht es ähnlich: „Das biologische Verhalten von Prostatakarzinomen ist sehr komplex. Unser Ziel ist es, die Tumore zu identifizieren, die keine Therapie benötigen. Bisher hatten wir mit der herkömmlichen Gleason-Klassifizierung nur eine Schwarz-Weiß-Einteilung. Das neue System erlaubt es uns nun auch, viele Graustufen zu erkennen und eine deutlich individuellere Therapieentscheidung zu treffen.“ Damit könnte wesentlich mehr Patienten als bisher eine aggressive Therapie erspart werden, so Schlomm.
Sauter G et al., Eur Urol, DOI: 10.1016/j.eururo.2015.10.029
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)