Aktive Überwachung bei lokal begrenztem Prostatakarzinom

Zunächst abzuwarten und erst bei Fortschreiten des Tumors zu behandeln, ist nach der aktuellen Leitlinie unter genau festgelegten Bedingungen eine Option bei Prostatakrebs, der die Organgrenze noch nicht überschritten hat.

Aktive Überwachung (engl. active surveillance, AS) bedeutet, eine grundsätzlich mögliche kurative (heilende) Behandlung unter enger Überwachung so lange aufzuschieben, bis der Tumor fortschreitet oder der Patient die Therapie wünscht. Demgegenüber versteht man unter abwartendem Beobachten (engl. watchful waiting, WW), den Patienten langfristig zu beobachten und eine palliative (lindernde) Behandlung einzuleiten, sobald der Tumor Symptome (Krankheitszeichen) verursacht.

Ziel der aktiven Überwachung ist, eine „Übertherapie“, also eine unnötige Behandlung zu vermeiden, um dem Betroffenen mögliche Nebenwirkungen dieser Behandlung vorerst oder – falls der Tumor nicht fortschreitet – sogar auf Dauer zu ersparen. Eine solche Strategie bietet sich bei Prostatakrebs an, der in einem frühen Stadium entdeckt wurde, weil dieser in vielen Fällen sehr langsam wächst und weder zu Lebzeiten des Betroffenen Beschwerden verursacht noch zu dessen Tod führt.

In der aktuellen S3-Leitlinie von 2019 wurden alle bisher durchgeführten Studien zu diesem Thema systematisch zusammengetragen und ausgewertet und daraus Empfehlungen für den Beginn, die Kontrolle und die Beendigung einer aktiven Überwachung abgeleitet:

Voraussetzungen für den Beginn einer aktiven Überwachung sollen sein:

  • PSA-Wert bis 10 ng/ml
  • Gleason-Score bis 6
  • T-Stadium T1c (Tumor durch Nadelbiopsie gefunden) und T2a (Tumor in höchstens der Hälfte einer Prostataseite)
  • Tumorbefall von höchstens 2 Proben der Prostatabiopsie
  • Tumorbefall von höchstens 50% einer Probe (Stanze)

Über die Möglichkeit der aktiven Überwachung sollen Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakrebs, für die eine heilende Behandlung in Frage kommt, informiert werden. Bei der Entscheidung für dieses Vorgehen sollten Alter und Begleiterkrankungen berücksichtigt werden.

Um ein mögliches Fortschreiten des Tumors rechtzeitig zu erkennen, sollen regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden, und zwar mit

  • Tastuntersuchung (DRU) und PSA-Bestimmung in den ersten beiden Jahren alle 3 Monate, danach bei stabilem PSA-Wert alle 6 Monate
  • Patienten, bei denen vor Einschluss in die aktive Überwachung ein MRT und eine Biopsie durchgeführt worden sind, sollten nach 12 Monaten ein erneutes MRT plus eine Rebiopsie erhalten
  • Patienten, bei denen vor Einschluss in die aktive Überwachung kein MRT durchgeführt wurde, sollten spätestens nach 6 Monaten ein MRT plus eine Biopsie erhalten
  • Eine Rebiopsie (Wiederholungsbiopsie) sollte danach in den ersten drei Jahren alle 12-18 Monate, später bei stabilem Befund alle drei Jahre durchgeführt werden.

Die aktive Überwachung soll beendet, also eine Behandlung mit kurativem Ansatz angeboten werden, wenn

  • die Einschlusskriterien in einem der oben genannten Kriterien nicht mehr erfüllt sind (z.B. der Gleason-Score in der Rebiopsie auf mehr als 6 steigt) oder
  • die PSA-Verdoppelungszeit (PSA-DT) sich auf weniger als 3 Jahre verkürzt.

Diese Kriterien sind besonders streng und sollen deshalb ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten: Sie schließen nur Tumoren mit niedrigem Risiko für ein Fortschreiten ein und sehen kurze Kontrollintervalle sowie einen frühzeitigen Abbruch bei Verschlechterung vor. So sollen die gesamte, die tumorspezifische (Tumor-bezogene) und die Rezidiv-freie (Rückfall-freie) Überlebensrate nach aktiver Überwachung und eventueller kurativer Behandlung nicht schlechter sein als nach sofortiger kurativer Behandlung.

Bei gewissenhafter Anwendung der Kriterien, insbesondere bei sorgfältiger Überwachung ist also das Risiko nur sehr gering, den richtigen Zeitpunkt zum Eingreifen zu verpassen. Der regelmäßige Arztkontakt hilft auch, die psychische Belastung durch das Wissen zu bewältigen, mit einem unbehandelten Krebs zu leben. Der große Vorteil der aktiven Überwachung liegt jedoch darin, dass zahlreiche Betroffene erst viel später (nur etwa 1/3 innerhalb von 7 Jahren) oder gar nicht behandelt werden müssen.

Schlussendlich hängt die Entscheidung aber nicht nur von den Befunden, sondern auch von den Wünschen des Patienten und zahlreichen anderen Faktoren ab. Sie kann deshalb nur individuell nach Aufklärung über alle Behandlungsmöglichkeiten getroffen werden.

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